Welches Lied passt zu mir? Ein Wegweiser für Sänger
Du fängst mit der Songauswahl an.
Intro
Hast du dich jemals gefragt, warum einige Sänger genial klingen, wenn sie ein bestimmtes Lied singen, es sich bei dir aber nicht annähernd so gut anhört?
Du weißt, dass du singen kannst, aber selbst nach längerem Üben bekommst du das Lied nicht so hin, wie du es dir vorstellst.
Lieder und Stimmen sind komplexe Angelegenheiten.
Trotzdem können professionelle Sänger aus irgendeinem Grund kontinuierlich ein Repertoire an großartig klingenden Songs aufbauen.
Wie machen sie das?
Manches davon kann man lernen, anderes wiederum auch nicht.
Um das, was man lernen kann, soll es heute gehen.
Ich möchte dich in diesem Artikel in die Punkte einweihen, die für Profis so normal sind, dass sie darüber gar nicht mehr reden müssen.
Überblick zu diesem Artikel
- Was ist am wichtigsten, um Songs zu lernen?
- Die Zentralität der Songauswahl
- 7 leichte Popsongs für Anfänger
- Praktische Kriterien für die Songauswahl
- Liste von Problembereiche eines Songs
- Songs, die du nicht auf der Bühne singen solltest
- Wenn Sänger nicht die ungeschriebenen Regeln kennen
- Jazz-Songs für Anfänger
- Deine Stimmlage ist mehr als nur hoch oder tief
- Physiologie der Stimme und Stimmklang
- Wie übt man einen Song?
- 5 einfache Songs für Anfänger
- Tipp für Profis zum Liedarrangieren
ACHTUNG:
In diesem Artikel geht es NICHT um “Fünf schnelle und einfache Tipps zum Singen jedes gewünschten Songs”.
Dennoch sind die folgenden (Geheim-)Schritte und Faktoren für Hobbysänger entscheidend, um Lieder zu lernen.
Für wen ist dieser Artikel gedacht?
Egal ob als Anfänger oder Profi …
… eins habe ich in den letzten 15 Jahren als Jazzsängerin und Vocal-Coach festgestellt:
Wenn ein Song nicht “funktioniert”, denkt der Sänger häufig als Erstes, er oder sie wäre einfach nicht gut genug – statt sich einmal gründlich die Fakten anzuschauen.
Oft wird man nämlich feststellen, dass es an ganz anderen Faktoren lag.
Diese Faktoren möchte ich dir aufzeigen, damit du gar nicht erst in das Denkmuster verfällst, alles läge allein an der Qualität deiner Stimme.
Denn um das Instrument Stimme zu erlernen, brauchst du mehr Zeit, als du denkst.
In der Zwischenzeit möchte ich aber trotzdem, dass du Freude daran hast, deine Lieder zu singen.
Und das klappt nur, wenn du mehr in die musikalischen Aspekte des Musikmachens investierst und dich als Teil von etwas Größerem betrachtest.
Selbst wenn du noch nie gesungen hast, kannst du auf diese Weise neben dem stimmlichen Aufbau deine musikalische Reise mit deinen Songs genießen.
Hinweis
Als Vocal Coach, möchte ich dir nicht nur einen Leitfaden an die Hand geben mit Regeln, nach denen du dir ein Lied erarbeitest.
Sondern ich möchte dich zum Sherlock Holmes deiner Stimme, Gefühle und Musik machen. Denn darum geht es doch beim Musikmachen: dich auszudrücken und Spaß dabei zu haben. Ob andere das gut finden, ist zweitrangig.
Was ist am wichtigsten, um Songs zu lernen?
Fördere deine musikalische Vorstellungskraft
Der Vater eines Bekannten wurde als Teenager im Zweiten Weltkrieg verwundet und verbrachte die besten zwei Jahre seines Lebens in einem Lazarett in Wien:
Da er eine Augenverletzung hatte, konnte er sich frei in Wien bewegen und kam als Begleitperson für die blinden Soldaten umsonst in verschiedene Veranstaltungen.
Abend für Abend besuchte er die Operette und Oper.
Er selbst spielte kein Instrument und kannte keine Noten.
Es war ihm aber wichtig, dass seine Kinder Instrumente lernten.
Denn er war selbst extrem musikalisch.
Warum?
Er hatte in seinem Leben viel Musik gehört.
Man kann dann gar nicht anders, als Musik in ihrer Essenz zu fühlen.
Das ist das Wichtigste für dich, wenn du selbst Musik machen willst:
🎧 Höre Musik.
🎧 Viel Musik.
🎧 Unterschiedliche Musik.
🏡 Zu Hause.
🎷 Live im Club.
📺 Aufgezeichnete Konzerte.
👨👩👧👦 Zusammen
🚶♀️ und allein.
Je mehr Musik du bewusst hörst, desto mehr Ideen bekommst du.
Lerne so viel wie möglich von anderen Musikern und Kreativen.
Sammle musikalische Ideen und Vorbilder.
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Je mehr du heraushören kannst, was du magst und was nicht und warum das so ist, desto besser kannst du es auf deine eigene Musik übertragen.
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Ohne innere Vorstellung entstehen keiner Lieder.
Deshalb:
Höre die Musik, die du auch singen willst.
Und wenn du Jazz singen willst 😉, höre dir die Großen und Alten der Jazzmusik an, nicht nur Norah Jones, Gregory Porter und Michael Bublé.
Denn alle Musik, die wir heute hören, baut auf der alten Musik auf und führt sie weiter.
Die Zentralität der Songauswahl
Auch gute Sänger können nicht alles singen
Einen großen Mythos hört man immer wieder:
❌ Wenn du eine gute Stimme hast, dann kannst du alles singen.
Meinst du, Adele könnte Arien singen?
Oder Ariana Grande Musical-Hits?
Lady Gaga hat sich mal an Jazz-Songs probiert und es klang gar nicht schlecht, aber immer noch wie eine Popsängerin, die sich an Jazz-Songs probierte.
Es geht nicht darum, alles singen zu können.
Es geht darum, die für dich richtigen Songs zu finden und zu singen.
Welchen Song willst du singen?
Weißt du, ob er zu dir und deiner jetzigen Stimme passt?
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Denn alles steht und fällt mit der richtigen Songauswahl.
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Warum?
Weil wir alle 👉eine einzigartige Stimme haben, 👉einen eigenen Ausdruck, 👉eine Geschichte, die durch den jeweiligen Song zum Leben erweckt werden darf.
Es gibt Songs, die wir singen müssen,
weil sie im Chor gesungen werden,
weil sie sich jemand von uns wünscht,
weil der Lehrer sie uns vorgibt.
Das ist dann so ähnlich wie eine arrangierte Ehe aus einem Emily-Brontë-Buch.
Die Auswahl ist nüchtern, die Liebe kommt später.
…….Vielleicht.
………………Hoffentlich.
Aber die Lieder, die du dir selber aussuchst, sind “Herzenslieder.”
Das ist das wichtigste Kriterium in der Songauswahl:
Bringt das Lied etwas in mir zum Schwingen?
Das ist das wichtigste Merkmal und was am schwierigsten zu unterscheiden ist.
Denn es gibt Lieder, die hört man sich gerne an, zu denen tanzt man, sie machen Spaß.
Aber wenn man sie selber singt, klingen sie flach und träge.
Kennst du die Japanerin Marie Kondo?
Sie ist seit ihrer Kindheit eine Ordnungsfanatikerin. Sie liebt es, aus Unordnung Ordnung zu schaffen, mit wenigen Dingen zu leben und weist am liebsten jedem ihren festen Platz zu. Sie hilft normalen Menschen, Ordnung ins Leben zu bringen. Sie schrieb ein Buch darüber, inzwischen gibt es sogar eine Netflix-Show mit ihr.
Wenn sie Ordnung schafft, ist ihr erster Schritt, sich von Dingen einer Art zu trennen.
Da sie aber weiß, wie schwierig das ist, hat sie die folgende Methode entwickelt: Man soll z. B. jedes Buch in die Hand nehmen und spüren, ob dieses Buch noch Freude bereitet. Nicht ob es früher Freude gebracht hat. Ob Erinnerungen daranhängen. Sondern ob in diesem Moment noch Freude darüber empfunden wird. Wenn nicht, darf man es weggeben oder wegwerfen.
Und genau dieses Prinzip finde ich auch bei der Songauswahl wichtig.
Löst das Lied eine (vieleicht unerklärliche) emotionale Reaktion in mir aus?
Oder finde ich das Lied einfach nur gut oder interessant?
Denn genau dieses kleine Gefühl, die diese Lieder tief in mir auslösen, müssen wir beim Singen kultivieren.
Wenn du gelangweilt 😒 bist von einem Lied, wenn du keinen Bezug dazu aufbauen kannst, dann wird es der Zuhörer auch nicht können.
Und genau deshalb fangen auch viele Leute mit dem Songwriting an:
weil sie keine Songs finden, die genau das ausdrücken, was sie sagen wollen.
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Es gibt viele Songs, die du mögen wirst, aber nur wenige davon wollen auch wirklich von dir gesungen werden.
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Jeder professionelle Sänger, jede professionelle Sängerin
🎤 sucht sich ihre Songs gut aus
🎤 oder schreibt sie selber.
Denn sie weiß, dass eine emotionale Nähe zu einem Lied der eigenen Interpretation hilft und sie ihr so das besondere Etwas verleihen können.
Praktische Kriterien für die Songauswahl
Es gibt zudem ganz objektive Kriterien, die dir bei der Songauswahl helfen können.
Gerade am Anfang ist es manchmal hilfreich, sich Listen mit einfachen Popsongs vorzunehmen, da bei diesen Liedern einige Kriterien schon gewährleistet sind.
In der Klassik sind solche Stücke gang und gäbe, da sich ein Sänger dem Niveau eines Liedes langsam annähern muss, je nach Entwicklung der Stimme.
Hilfreiche Kriterien für die Songauswahl:
- Liegt das Lied innerhalb meines Stimmumfangs?
- Passt es zu meinem Stimmklang?
- Muss der Song transponiert werden? Oder kann er in der Tonart bleiben?
- Kann ich den Text leicht aussprechen?
- Liegt der Hauptteil des Songs in meinem bequemen Stimmumfang?
- Wie ist das Tempo des Songs? Ist es zu schnell🐰
- oder zu langsam 🐢?
- Will ich den Song vortragen oder nur alleine für mich singen?
- Kann ich die Message des Songs irgendwie nachvollziehen, besser noch: Entspricht sie meiner Erfahrung und meinen Werten?
- Funktioniert der Song auch ohne große Produktion z. B. akustisch oder mit einfachem Playback?
- Ist der Song zu stark an einen Sänger gebunden? Höre ich das Original im Hintergrund immer mit, weil es sich durch seine große Popularität so eingebrannt hat?
In der Lerntheorie heißt es:
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👉 Was man lernen will, darf weder zu leicht noch zu schwer sein.
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Wenn der Song gleich beim ersten Mal perfekt sitzt, ist das schön, aber höchstwahrscheinlich ist er dann zu einfach.
Du wirst vermutlich nichts dabei lernen, sondern eher noch einen Schritt zurückgehen, weil du nachlässig wirst.
Ein Song, der schon in den ersten Takten Frust auslöst oder beim Chorus Entgeisterungsschreie weckt, ist einfach noch zu schwer.
Dann kannst du ihn dir zwar trotzdem vornehmen, wirst ihn aber sehr viel häufiger hervorholen müssen, bis er wirklich sitzt.
Als grobe Regel gilt:
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Für einen Anfänger darf ein Song maximal zwei schwierige Stellen haben, sonst wird der Frust zu groß.
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Und Frust verdirbt die Freude.
Was (meistens) zum Aufgeben führt.
Jeder Song hat irgendeinen schwierigen Part
- in der Tonfolge,
- in Tonsprüngen,
- auf der emotionalen Ebene,
- im Rhythmus,
- in den Atemeinsätzen,
- im Halten der Atemphasen,
- in der Entwicklung der dynamischen Variation,
- im Swingen,
- im Groove,
- in der Sprache,
- in der Dynamik,
- in der Gestaltung,
- beim Improvisieren.
Songs, die du nicht auf der Bühne singen solltest
Songs sind wie Bilder 🖼:
Je nachdem, wo sie gezeigt werden, können sie gut oder schlecht wirken.
Ein Kinderbild, das im Museum ausgestellt wird, wird bei der breiten Masse viel weniger Ansehen genießen als am Kühlschrank der Eltern.
So sehr die Eltern es im Museum auch lieben werden, es gehört nicht dorthin.
So ist es auch mit Songs und denen, die sie singen.
Wir vergessen leicht, dass Lieder in einen Kontext gehörten.
Dieser Kontext besteht aus
👨👩👧👦 den Zuhörern,
📍 dem Ort,
🎷der Band,
📝 der Setliste,
🎶 dem Arrangement
und manchem mehr.
Wenn du bei einer Open Night die fünfte Ballade singst, wird sich das Publikum langweilen – egal wie emotional dein Vortrag sein mag.
Dein Lied passt nicht ❌ mehr, alleine weil schon vier andere Songs derselben Art vorgetragen wurden.
Wenn du auf der Hochzeit deiner besten Freundin ein Lied mit unsauberen Tönen singst, werden trotzdem alle vor Rührung weinen 👍
Weil du einen persönlichen Bezug zu deinem Publikum hast.
Singt eine bezahlte Sängerin denselben Song mit denselben unsauberen Tönen, sieht die Sache ganz anders aus 👎
Wenn Sänger nicht die ungeschriebenen Regeln kennen
Ich gehe seit gut 20 Jahren zu den verschiedenen Jazz-Jam-Sessions in Hamburger Clubs.
Jam-Session bedeutet,
✅ dass jemand ein Lied vorschlägt,
✅ eventuell Noten (= Leadsheet) vorliegen,
✅ das Tempo eingezählt wird
✅ und dann alle zusammen Musik machen.
Bei diesen Jam-Sessions gibt es ungeschriebene Regeln, die man als Neuling nicht kennt.
Die richtige Liedauswahl ist eine davon.
Und auch wenn du mit einem konkreten Arrangement im Kopf oder gar auf der Note ankommst, bist du falsch🙁
Hier findest du eine Liste an Jam-Session–Songs, die du in deiner Tonart lernen und mit denen du mit anderen Musikern zusammen gut spontan Musik machen kannst.
Deine Stimmlage ist mehr als nur hoch oder tief
Ein Freund lebte am Anfang seines Medizinstudiums als Untermieter bei einer Frau, die überall in der Wohnung kleine Zettelchen kleben hatte mit den Botschaften “Ich bin schön” und “Ich liebe mich”.
Zu unserer Schande hat uns Freunden das immer sehr viel Anlass zu Witzen gegeben😡
Ob die Zettelchen etwas gebracht haben, weiß ich nicht.
Bringt es etwas, wenn wir uns immer wieder selber sagen:
„Ich finde meine Stimme schön“?
Ich glaube, eher nicht.
Was aber, wenn andere dir dasselbe sagen?
Glaubst du ihnen, dass sie deine Stimme mögen?
Wenn nein, warum nicht?
Die meisten Menschen sagen:
“Ich mag meine Stimme nicht gern hören.”
Das kommt daher, dass sie ihre Stimme tagtäglich anders wahrnehmen als z. B. bei einer Aufnahme.
Sie sind geschockt, dass andere diese Stimme von ihnen hören, und meistens setzt dann die Scham ein.
Aber nützt uns das was?
Nicht wirklich.
Denn Scham verhindert Freiheit und Selbstbewusstsein und beides ist wichtig fürs Singen.
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Wichtiger als unsere eigene Stimme zu lieben, ist, sie kennenzulernen – in all ihren Facetten und zwar so weit wie möglich ohne emotionale Beurteilung.
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Diese Fragen kann jeder professionelle Sänger beantworten:
- Klingt meine Stimme hell oder dunkel?
- Klingt sie warm oder metallisch?
- Wie klingt sie in welchen Lagen?
- Bei welchen Tönen klingt meine Stimme für mich am besten?
- In welcher Lage klinge ich wie ich?
Eine Kollegin von mir hatte dramatische Begegnungen mit verschiedenen Gesangs-Coaches, die sie immer in die Höhe trimmen wollten.
Dabei hat schon ihre Sprechstimme einen tiefen Klang.
Es ist für sie immer noch ein wunder Punkt, sich einzugestehen, dass ihre sehr tiefe Stimme sie eher reflektiert als eben die hohen Töne.
Hinweis
Wir werden immer die Stimmfarben lieben, die wir nicht haben. Das Gras ist auf der anderen Seite immer grüner.
Vollkommen ändern können wir unsere Stimmfarbe nicht, ausbilden hinsichtlich Lautstärke, Intensität, Groove und Ausdruck allerdings schon.
Pysiologie der Stimme und Stimmklang
Unser Stimmklang hat (meistens) etwas mit der individuellen Physiologie der Stimme zu tun, mit der wir geboren wurden.
In der Klassik ist das um einiges einfacher:
Da wird man gleich zu Beginn mit seiner Stimmfarbe in ein Stimmfach einsortiert.
Da gibt es nicht nur den Sopran,
- sondern den lyrischen Sopran,
- den dramatischen Sopran,
- den Charaktersopran,
- den Knabensopran,
- den Koloratursopran,
- den lyrischen Koloratursopran …
Zu jedem Stimmfach gehören bestimmte Lieder.
Man trainiert die Stimme dorthin, um diese Lieder überhaupt anständig singen zu können.
Einschätzung der eigenen Stimme
Wenn wir unsere eigene Stimme hören und einschätzen können, wird es auch einfacher, andere Stimmfarben besser einzuschätzen.
Denn viele Songs, die wir andere singen hören, klingen ganz anders wenn wir die Melodie selber singen.
Warum?
Weil die Stimmfarbe eines Sängers die Noten höher oder tiefer erscheinen lässt, als sie tatsächlich sind.
Hör dir hier zum Vergleich mal mehrere Sängern an, die denselben Song in derselben Tonart singen:
Für die Songauswahl hilft es, wenn du Sänger findest,
✅ die eine ähnliche Stimmfarbe wie du haben
✅ und auch den gleichen Stil mögen und singen.
So kommst du vielleicht recht schnell zu einigen Songs, die dir Freude bereiten.
Hinweis zum Stimmumfang
Meine Kinder singen seitdem sie geboren sind, so jedenfalls fühlt es sich an. Meine Älteste piepste als Baby mit einem Delfinfiepen. Meine Nichte dagegen brummte als Baby. Andere Kinder singen gar nicht. Dementsprechend hat sich die Muskulatur der Stimme entwickelt.
Manche Leute haben von Natur aus einen riesigen Stimmumfang und tun nichts damit. Andere kämpfen um jeden Ton. Es ist unfair🙁, aber so ist es nun mal.
Das bedeutet aber NICHT, dass wir unseren Stimmumfang nicht erweitern könnten. Ich kenne genügend Beispiele (mich inklusive), die durch regelmäßiges Training den Umfang ihrer Stimme erweitert haben. Wenn du anfängst, musst du allerdings erst einmal mit dem arbeiten und leben, was du zu diesem Zeitpunkt vorfindest.
Wie übt man einen Song?
Nachdem du dir nach bestem Ermessen einen Song ausgesucht hast, folgt nun das Üben.
So geht’s:
- Bei einer Aufnahme mitsingen: So bekommst du ein generelles Verständnis für den Song.
- Die Melodie isoliert üben: Nimm dir Zeit, bis sie sitzt.
- Den Text auswendig lernen: Erzähle eine Geschichte.
- Schwierige Stellen üben: Ignoriere keine Fehler, sondern stell dich ihnen.
- Einsätze lernen: Trage sie dir ein.
- Dynamik und Ausdruck finden.
- Für eine Interpretation entscheiden
- „Attitude is everything“
- Für Profis: Das Lied arrangieren
- Für NOCH größere Profis: ein Leadsheet schreiben!
Ich habe auch einen Podcast darüber gemacht, wie man schnell einen Song lernt.
1. Bei einer Aufnahme mitsingen
👉 Sing mit, ohne Wenn und Aber.
👉 Sing dir die Seele aus dem Leib – ohne Läufe, Schlenker und wer weiß welchen Firlefantz.
👉 Sing einfach die Melodie mit.
Hinweis: Finde die Originalversion
Songs haben meist viele verschiedene Versionen. Mach dir die Mühe, das Original oder die erste Aufnahme zu finden. Das ist gerade bei Jazzstandards wichtig, weil die Aufzeichnungen aus dem “Real Book” (Es gibt viele ” Real Books “, und ich benutze dieses am meisten.) nur vereinfachte Versionen sind, die zur Stütze dienen sollen.
Auch wenn sie dir möglicherweise nicht gefällt, kann dir die Originalversion helfen, die Geschichte und Bedeutung des Songs und deiner Lieblingsversion zu verstehen. Zudem zeigt diese häufig eine vereinfachte Version der Melodie an, die dir beim Lernen helfen kann.
2. Die Melodie isoliert üben
Nimm dir Zeit für die Melodie.
Die Melodie richtig und ordentlich zu erlernen, ist die halbe Miete.
- Dafür ist es wichtig, dass du den Song verlangsamst. So kannst du überprüfen, ob du alle Töne so sauber wie möglich triffst.
- Geh ans Klavier oder nutze eine Klavier-App, um die Töne, Tonsprünge und Lagen zu visualisieren.
- Nimm dir die Zeit, bis du die Melodie sauber, ordentlich und sicher selbstständig singen kannst. Es geht um die simple Melodie ohne Schlenker, Phrasierung und Läufe.
- Mach dich mit dem Anfangston vertraut und präge ihn dir ein.
- Nimm ein Metronom zuhilfe, um im gesetzten Tempo zu bleiben.
Hier ist mein Video über das saubere Treffen der Töne.
Hinweis zum Liedaufbau
Du als Sänger oder Sängerin bist dafür verantwortlich, nicht nur die Melodie zu kennen, sondern auch den Aufbau.
Wenn du deinen Song hörst, zähle und verfolge die verschiedenen Songteile: Welche gibt es?
In Popsongs kommen häufig
- Intro,
- Vers,
- Chorus
- und Bridge vor.
Dann kann es noch verschiedene Interludes und Pre-Chorus-Teile geben.
Im Jazz geht es eher um eine ganze Form, die in A, B, und C-Teile unterschieden wird.
- Wie lang sind die unterschiedlichen Teile?
- Wie viele Takte hat das Intro?
- Auf welcher Zählzeit kommst du in die unterschiedlichen Teile hinein?
Besonders wichtig ist das nach dem Intro und nach Interludes. Trage diese Zählzeiten ein. So hetzt du nicht hinterher.
3. Den Text auswendig lernen: Erzähle eine Geschichte
Was unterscheidet uns Sänger von Instrumentalisten?
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Sänger haben Worte und Musik, um eine Geschichte zu erzählen. Und diese Geschichte darf verständlich gesprochen werden.
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Häufig werden jedoch fremdsprachliche Texte so unverständlich gesungen, dass man die Geschichte nicht erkennt 😕
Deshalb ist es wichtig, dass wir den Text verstehen und aussprechen können.
- Sprich den Text einfach mal als Text, ohne Melodie und Rhythmus. Verstehst du, worum es in der Geschichte geht?
- Verstehst du alle Vokabeln und kannst sie so gut wie möglich aussprechen?
- Sprich den Text noch einmal mit normaler Betonung und im Satzzusammenhang.
- Übertrage diese natürliche Sprachbetonung auf die Melodie.
- Übertrage das Gelernte auf den Rhythmus der Melodie und gleiche den Rhythmus an die Betonung und Sprachmelodie an.
Hinweise zum Auswendiglernen
1. Wenn es dir (wie mir) schwerfällt, Texte auswendig zu lernen, darfst du doppelt so viel Zeit investieren.
Ich habe schon unzählige Auftritte mit einem wahren Text-Blackout erlebt und mir graut jedes Mal davor. Aber es hilft auch nicht, sich stattdessen immer ein Textblatt mitzunehmen. Lerne stattdessen von vornherein den Text sicher auswendig und warte damit nicht bis zum Schluss. Denn wenn du weißt, wo deine Schwachstelle ist, bekämpft du sie am besten sofort.
2. Stell dir die Geschichte bildhaft vor.
Je mehr die Geschichte mit Emotionen, konkreten Orten und Bildern verknüpft wird, desto mehr wird sie in deinem Langzeitgedächtnis gespeichert. Mach dir die Mühe, dir konkrete Situationen vorzustellen und Abläufe zu vergegenwärtigen. Dann kannst du bei Blackouts mit eigenen Worten improvisieren und die Lücken notfalls ausfüllen.
ACHTUNG: Internettexten
Überprüfe die Texte, die du ausdruckst.
In den meisten stecken Fehler, die du ja nicht übernehmen willst. Wenn du selber die Sprache deines Songs nicht verstehen kannst, dann frag jemanden aus deinem Bekanntenkreis, der gegenlesen kann, damit du dir sicher bist.
Häufig reicht es aber, einfach nur in die Aufnahme reinzuhören und den Text genau mitzuverfolgen.
4. Schwierige Stellen üben
Ignoriere keine Fehler, sondern stell dich ihnen.
Jeder Song hat schwierige Stellen.
Und je nachdem wie weit vorangeschritten du in der Entwicklung deiner Stimme bist, desto besser kannst du mit diesen Stellen umgehen.
Dies sind meine wichtigsten Tipps, um schwierige Stellen zu meistern, die mit Zeitsprüngen und Sounds zu tun haben:
- Sei aufmerksam, wo du Schwierigkeiten hast.
- Halte den Song an.
- Höre die schwierige Stelle heraus.
- Finde heraus, was schwierig ist, und grenze es ein.
- Singe genau diese Stelle auf nur einem Vokal.
- Wende die Gesangstechnik an, die du bisher gelernt hast.
- Hole dir bei Bedarf Unterstützung: Wenn du nicht weiterkommst, nimm ein paar Übungsstunden bei einem Coach oder hole dir Feedback von mir.
- Singe die Stelle mit dem jeweiligen Wort.
- Erhöhe langsam das Tempo.
- Singe die Stelle im Zusammenhang.
- Gehe zurück zum Originaltempo.
5. Einsätze lernen: Trage sie dir ein
Hier kommt ein Punkt zum Thema Einsätze, der meistens übersprungen wird:
Nimm dir die Zeit herauszufinden, auf welcher Zählzeit dein Einsatz kommt:
nach dem Intro oder in jeder Phrase.
Hör dir das Original deines Songs an und verfolge, wann wo eingesetzt wird und TRAGE DIR DIE EINSÄTZE EIN, wenn du keine richtig notieren Noten besitzt.
Hinweis zum Einsätze-Notieren
Inzwischen gibt es viele legale Plattformen, auf denen du gut notierte Songs finden kannst.
Oft sind sie sogar zu gut ausnotiert, sodass jede rhythmische Verschiebung darin zu finden ist, statt wie im „Real Book“ des Jazz nur die simple Melodie, die bereit für jeden Unfug des Musikers ist.
6. Dynamik und Ausdruck finden
Songs leben von Gegensätzen, Spannungen und Überraschungen.
Diese erzeugen wir u. a. durch den Einsatz von
👉 Dynamik,
👉 Akzenten und
👉 Pausen.
Ein Song ist wie eine Geschichte, die den Zuhörer mitnimmt:
Es muss nicht immer knallen, damit es interessant bleibt, sondern Aufbau und Dramaturgie sind entscheidend.
Hier ist deine Musikalität gefragt.
Wenn die Ideen ausbleiben, ist es meist besser, zusammen mit einem Coach an der Dramaturgie und Dynamik des Songs zu arbeiten.
7. Für eine Interpretation entscheiden
Du hast den Song ausgewählt, weil er dir etwas bedeutet.
Diese Sichtweise möchtest du durch deine Art des Singens zeigen.
Nichts anderes bedeutet Interpretation.
Dafür muss man sich für einen Standpunkt entscheiden:
- Was sind die Hauptmotive des Songs?
- Welche Zielwörter haben die verschiedenen Textzeilen?
- Wo setze ich Pausen ein, um das bisher Gesagte wirken zu lassen (gilt besonders für Balladen)?
- Mit welcher Wirkung möchte ich die Zuschauer aus dem Song entlassen?
Mithilfe dieser Fragen und durch die Auseinandersetzung mit dem Inhalt bekommt die Musik neues Gewicht.
Phrasierungen können – meist in kleinen Teilen – verändert werden.
8. “Attitude is everything”
“Attitude” ist so ein schönes englisches Wort, das im Deutschen nur mit einer ganzen Reihe an Wörtern beschrieben werden kann:
- Überzeugung
- Haltung
- Präsenz
- Aussagekraft 💪
- innere Anwesenheit
- Herz
- Selbstbewusstsein
Schön gesungene Songs ohne Attitude sind leblos.
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Wackelig gesungene Songs mit Attitude erreichen Fuß und Seele.
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Aber Attitude kann uns kein Lehrer beibringen.
Denn sie kommt von innen und lässt sich meist nur durch Erfahrung und Reife gewinnen.
Attitude, eine Haltung dem Lied gegenüber, ist wichtiger, als alle Noten immer sauber zu treffen.
Attitude bedeutet, dass sich der Sänger emotional investiert.
Dann vergibt der Zuhörer gerne Fehler.
Das Gegenteil sind perfekt intonierte und gesungene Songs ohne emotionale Beteiligung.
Deshalb gilt:
Investiere dich!
Attitude ist alles!
Hinweis zum Selbstbewusstsein
Es gibt ja leider, leider, leider, leider immer noch DSDS (2019).
Und leider hat sich durch diese furchtbare Castingshow in vielen Köpfen eine bestimmte Angst festgesetzt:
“Was, wenn ich einfach nur denke, dass ich (einigermaßen) gut singen kann, aber in Wirklichkeit so schief und furchtbar singe wie die Leute in der Castingshow?”
“Was, wenn ich mich völlig überschätze, aber nichts dahinter steckt?”
Eins kann ich sagen:
Wenn du dich das fragst, dann trifft es nicht auf dich zu.
Aber wir können etwas von den Leuten lernen, die schief aber voller Eitelkeit im Fernsehen auftreten: Selbstsicherheit.
9. FÜR PROFIS: das Lied arrangieren
Arrangieren klingt danach, als wolle man ein orchestrales Werk schaffen.
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Arrangeren bedeutet nichts anderes, als eine Melodie neu einzukleiden.
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Meiner Meinung nach geht das nur, wenn man musikalische Vorstellungskraft hat.
Deshalb ist das Musikhören so wichtig 🎧
🔧Zwei Werkzeuge 🔨 benutze ich für neue Arrangements bekannter Songs:
1. Ich versuche von anderen Musikern zu lernen, die ich nicht persönlich kenne, aber deren Musik ich schätze.
Dafür analysiere ich die Songs, die ich mag, finde heraus, was das Arrangement ausmacht und übertrage einige Teile davon auf mein Lied.
2. Ich nehme die Hilfe von versierten Musikern in Anspruch und bezahle z. B. einen Pianisten, damit er mir Songs mit neuen Akkorden ausstattet.
Arrangieren beinhaltet vieles:
- neue Instrumentierung
- Tempo verändern
- Groove und Feeling verändern
- Aufbau eines Songs
- Harmonien, Stopps, Einwürfe erfinden
- Reharmonisierung
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Die höchste Regel eines guten Arrangements lautet für mich, dass es sich natürlich anhören muss.
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Es darf nicht forciert klingen, als hätte man unbedingt etwas Neues erschaffen wollen.
Nicht jedes Songwriting ist stark genug, um neue Arrangements aushalten zu können.
Aber das können wir nur herausfinden, indem wir uns trauen, etwas auszuprobieren.
Manchmal gelingt es und manchmal war es nur ein netter Versuch, der gescheitert ist 🤷♀️
10. FÜR NOCH GRÖSSERE PROFIS: ein Leadsheet schreiben
Wenn du dich nicht auf ein Karaoke-Playback verlassen willst, sondern mit anderen gemeinsam deinen Song musizieren willst, ist es von Vorteil, ein Leadsheet zu haben.
Wenn es in deiner Tonart, in diesem Arrangement oder generell von dem Lied keins gibt, darfst du es selber erstellen oder jemanden beauftragen.
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Ein Leadsheet ist nichts anderes als ein Informationsblatt, das meist die Melodie und die Akkorde enthält, sodass alle dieselben Infos haben, um Musik machen zu können.
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Es gibt aber auch genügend Musiker, die kein Problem damit haben, sich das von dir erarbeitete Lied bei einer Probe schnell herauszuhören.
Zeitsparender ist es aber, es vorher aufzuschreiben.
(Blog post: Leadsheets schreiben: alle Sänger müssen wissen, wie das geht)
Letzter Gedanke:
Sei realistisch und genieße deine Gesangsreise
Wenn du auf dein Leben zurückschaust, wirst du bestimmt feststellen, dass du in verschiedenen Lebensbereichen eine Entwicklung durchlaufen hast.
Genauso gehen du und deine Songs durch verschiedene Entwicklungsstadien.
Es gibt Songs, die brauchen länger, bis du ihre Geschichte wirklich erschlossen hast, bis sie dir etwas bedeuten, bis du stimmlich fähig bist, sie einigermaßen zufriedenstellend zu singen.
Und dann schaust du zurück und fragst dich, wieso das für dich eigentlich so ein großes Problem war.
Wenn wir großartige SängerInnen hören, vergessen wir häufig, dass sie eine lange musikalische Geschichte hinter sich haben.
Selbst so genannte “Hobbysängerinnen” bei The Voice oder bei anderen Casting-Shows, die als Verkäuferin entdeckt werden, habe eine musikalische Entwicklung hinter sich.
Und, ja, es gibt großartige Sängerin, die mit einem großartigen musikalischen Begabung geboren wurden.
Deren Talent früh entdeckt und natürlich gefördert wurde.
Ganz klar.
Aber bei vielen anderen war es eine Entwicklung.
✅ Sie haben Unterricht genommen.
✅ Viel geübt.
✅ Viel mit anderen Musik gemacht.
✅ Songs ausprobiert und wieder verworfen.
✅ Geld in eine CD investiert und sie nie veröffentlicht.
✅ Im Chor gesungen, im Orchester gespielt, zu Hause Musik gemacht.
✅ Konzerte besucht und ständig Musik gehört.
Wenn du dir deinen ersten Song vornimmst, dann habe Spaß am Lernen.
Du wirst ihn nicht perfekt hinkriegen.
Sondern nur so gut, wie du in deiner Entwicklung als Sänger oder Sängerin gerade bist.
Das ist Teil der Entwicklung.
Habe Freude daran.
Dann wirst du merken, dass es vorangeht.
Feiere jeden noch so kleinen Fortschritt und schau zurück, damit du die Unterschiede erkennen lernst.
Je mehr Songs du lernst, desto leichter wird es.
Je mehr Songs du singst, desto mehr wirst du merken, welche Songs wirklich zu dir gehören und dich ausdrücken.
Je mehr du singst, desto mehr werden deine Lieder ein Segen für andere sein.
Über Sylvia Lee
Sylvia Lee arbeitet als Jazzsängerin und Vocalcoach in Hamburg und lebt dort mit ihrer mehrsprachigen Familie.
“Jeder Sänger ist einzigartig und hat eine Geschichte zu erzählen. Mein Ding ist es, andere heraus zu fordern, sie zu ermutigen Risiken einzugehen, und ihnen so Futter für das weitere Lernen mitzugeben.”